Rede anlässlich der Pensionierung

(ABGEDRUCKT IM JAHRESBERICHT DES MUSISCHEN GYMNASIUM 2007/08)

 

 Am 3. JULI 2008

Was sagt man schon als abiturus? Es hat mich sehr gefreut und hinter mir die Sintflut. Oder: Freut euch, solange es noch möglich ist, des Arbeitsplatzes, der euch sicher ist, den allermeisten jedenfalls hier in der Runde.

Ich könnte auch wie Günter Eich nach der Gefangenschaft im Zweiten Weltkrieg nüchtern Bilanz ziehen; etwa so:

Das sind meine Schlüssel – zum Abgeben. Löffel ist keiner dabei.

Das sind meine Hausschuhe, die das Finanzamt unter der Rubrik erhöhte Werbunsgskosten trotz meines Hinweises auf die Hausschuhpflicht an unserer Schule nie anerkannt hat.

Das ist mein letzter Lohnzettel, Gehaltsstufe 18, Dienstalterszulage.

Das ist das Schachterl mit den bunten, abgebrochenen und stummen Zeugen meiner ungebrochenen Betriebsamkeit: Kreidenstummel in allen Farben. Die Spielchen mit der Farbenlehre schenke ich mir. Trotzdem merke ich kurz an, dass es schwarze Kreiden nicht gibt. Eine schwarze Schrift auf grünem Grund macht sich eben nicht gut. Mein Gott, wie viel Staub sich da angesammelt hat!

Was habe ich noch abzugeben?

Jede Menge Illusionen. Zum Beispiel die, dass es irgendeine Regierung gäbe, die ein paar Milliarden in die Hand nimmt und sie in das Schulsystem investiert. Ich komme an einer späteren Stelle noch einmal auf diese Milliarden zurück.

Und das ist der kleine Bleistift, der mir am liebsten ist. Mit dem habe ich alles aufgeschrieben, was ich so am Wegrand gefunden habe.

 

Ganz stimmt der Bezug auf den berühmten Hörspielautor natürlich nicht, denn im Krieg habe ich mich in den letzten dreißig Jahren nie befunden und in einer Gefangenschaft, aus der ich jetzt flüchten müsste, auch nicht. Also ein neuer Anlauf zu einer weniger nüchternen Inventur.

Von einem der Sprache verpflichteten Germanisten und Kreativschreiber erwartet man sich wohl nicht, dass er sich jetzt stumm und sprachlos aus dem Staub macht, sondern ein paar zur Situation passende Sätzlein absondert, dabei aber die Zeit einzuschätzen weiß, die ihm noch eingeräumt wird. Es soll ja eine Verabschiedung mit gutem Abgang werden.

Erstens bedanke ich mich für die ehrenden Worte, mit denen unser Direktor im Jahresbericht das herausgestrichen hat, was ich im Laufe meiner Lehrerjahre alles geleistet habe. Es ist da einiges zusammengekommen, worauf auch ich stolz bin. Ja, es ist richtig: Ich habe maßgeblichen Anteil daran, dass das kreative Schreiben am Musischen Gymnasium, soweit ich sehen kann: der einzigen Schule in Österreich, seit 1999 als Schwerpunktfach unterrichtet wird und ich bin es auch gewesen, der so lange keine Ruhe gegeben hat, bis sich die Schulgemeinschaft einen Schulpsychologen geleistet und installiert hat. Und vor vielen Jahren habe ich auch die Gründungsgeschichte unserer Schule aus den phantastischen Höhen der Sagenkunde wieder auf den Boden der nüchternen Geschichtswissenschaft heruntergeholt.

Wovon könnte am Ende einer schwindelerregend steilen Lehrerkarriere hinauf über die achtzehn Treppchen in die höchste Gehaltsklasse und dann zu einer Dienstalterszulage, die man erst dann bekommt, wenn man vier Jahre ohne Vorrückung am Stand stecken geblieben ist, und außer einem Ehrentitel ohne irgendein materielles Äquivalent nichts anzubieten hat, die Rede sein? Von der guten alten Zeit vor 30 Jahren vielleicht, als noch der Höller Toni unsere spiritusgetränkten Matrizen mit der Hand an der Kurbel vervielfältigt hat, kein Kopierer zur Verfügung stand und die Videosysteme in den teuren Kinderschuhen steckten? Eine auf zwei Stunden ausgelegte VCR-Kassette kostete damals 450 Schilling. Von der Aufbruchsstimmung in der Traumzeit des Musischen Gymnasiums in den Siebzigern und den damals entwickelten Didaktik-Utopien könnte da die Rede sein. Die Klärung dieser Thematik überlasse ich aber lieber dem Plausch der Pensionisten, die sich ja bald vermehren werden, wenn wir uns, wo auch immer, zusammenfinden und überlegen werden, ob sich in didaktischer Hinsicht innerhalb bald eines halben Jahrhunderts etwas Entscheidendes getan hat, wenn wir die eigene Schulzeit, das sind die 60er Jahre, mit der in unserer Berufslaufbahn vergleichen, ob zum Beispiel das Teamteaching schon eingeführt worden ist oder ein sinnvolles Kurssystem oder überhaupt ein Curriculum, das die Schüler nicht mehr von einem Test zum anderen hetzen lässt und an solchen Prüfungstagen halbe Klassen leer fegt. Und ob es dem Musischen Gymnasium nicht gut anstände, neben der Profilierung, die uns in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, eben so viel Energie bei der Bearbeitung dieser Problemfelder zu investieren. Das wird wohl die Aufgabe der nächsten Generation von Lehrerinnen sein müssen, wenn das Musische Gymnasium nicht von zentrifugalen Kräften auseinandergerissen werden soll. Lehrerinnen habe ich gesagt, denn darauf wird es ja, wenn der Trend anhält, hinauslaufen.

Man muss übrigens über keine prophetischen Gaben verfügen, um behaupten zu können, dass (jedenfalls aus der Perspektive des Germanisten) die mit viel Aufwand ausgearbeiteten   Leistungsstandards – Achtung! Da gibt es Karrierechancen und Nebenverdienstmöglichkeiten – einschließlich der Zentralmatura nicht die Qualität garantieren werden, die sich aus meiner Sicht praxis- und weltabgehobene Verwaltungspädagogen im Schlepptau einer auf Formatierung scharfen Wirtschaft davon erträumen. Wenn nicht in die Verbesserung der Infrastruktur der Schulen, also die Klassenschülerhöchstzahlen, die Mittelausstattung für innovative Unterrichtsformen, die Verbesserung der Lehrerarbeitsplätze, Schulküchen, Lern- und Freizeiträume für die Nachmittagsbetreuung und viele andere Selbstverständlichkeiten mehr, die einzurichten Jahrzehnte lang verabsäumt worden ist, Milliarden gesteckt werden, werden diese Mindeststandards unter Umständen zwar ein besseres Abschneiden bei den PISA-Aufgaben bewirken. Damit wird man den Ehrgeiz des Vaterlandes ruhig stellen, aber keinen Schluss auf ein bestimmtes oder gar angehobenes Bildungsniveau ziehen können. Es sei denn, man begreift den erhofften Testglanz als Reflex der im Schüler bis dorthin gewachsenen Bildung und nicht als Ergebnis einer wiederum nur punktuell erworbenen Fähigkeit, nämlich einen Test (nach entsprechender Übung) zur Zufriedenheit der Testerfinder auszufüllen.

Vom Arbeitsplatz könnte in so einer Rede noch die Rede sein. Nicht von den Quadratzentimetern, auf dem unsereins seine goldenen Eier legen soll, oder von den uns aufgenötigten Investitionen für die Anschaffung des Computers, der Bücher, des Schreibmaterials, für die Aufbewahrung der Unterrichtsmaterialien in der Privatwohnung, Investitionen, die wir maximal mit 20 Prozent, im Falle der Nutzung unserer Privatwohnung als Arbeitsplatz gar nicht zurückerstattet bekommen – ein ewiger Stachel im Fleisch einer diesbezüglich säumigen Gewerkschaft. Die könnte zum Beispiel einmal ausrechnen lassen, wie viel Geld der Staat den Lehrern aller Schulkategorien – sagen wir einmal seit dem Beginn der 2. Republik, also seit 60 Jahren – aus der Tasche gezogen bzw. in einer kalten Enteignung vorenthalten hat. Das soll die Gewerkschaft ausrechnen und dann in einer Sammelklage zurückfordern. Ich glaube nicht, dass wir uns in einer schlechteren Verhandlungsposition befinden als die australischen Aborigines. Die erstrittene astronomische Summe werden wir dann, uneigennützig wie wir sind, in die Verbesserung der Infrastruktur des Schulsystems investieren, denn auch wir auf der untersten Stufe dieses Feudalsystems haben unsere utopischen Träume.

Nein, von diesem Aspekt des Arbeitsplatzes soll nicht weiter die Rede sein, sondern von Freuden, die wir erleben dürfen, weil wir zu den wenigen privilegierten Dienstnehmern gehören, die auf der Basis der uns bisher eingeräumten pädagogischen Freiheit und nur den Vorgaben des Lehrplans und unserem Arbeitsethos verpflichtet, unsere tägliche Arbeit selbst gestalten dürfen und diese wirklich oft durch unterrichtsfreie Zeiten unterbrochen wird. Dazu kommt, dass eine Schulaufsicht, die   ihren Namen verdienen würde, praktisch nicht existiert. Das werden ja selbst die jüngeren Semester, sollte es welche geben, schon gemerkt haben. Dank auch der jungen Klientel, die wir betreuen, haben wir einen unvergleichlichen Arbeitsplatz, der uns selber jung und in Spannung hält. Ich gebe schon zu, dass ich in der letzten Zeit ein bisschen nachgelassen habe und bei seltsamen oder originellen Namen, zum Beispiel take five, mir nicht mehr zu merken gewillt bin, ob das jetzt ein neues In-Lokal am Kai, ein Softwareprogramm, ein multifunktionales Handy, eine Popgruppe, eine Musikrichtung, die Werbung für ein Lutschbonbon oder ein Film in diesen mit Popcorn übersäten Lärmtempeln ist. Auch dem   Schlüsselbund renne ich in letzter Zeit öfter nach, als mir lieb ist. Das hat aber auch wirklich mit der metrosexuellen Kleidung zu tun, in die wir modebewussten Männer uns hineinzwängen lassen. Früher, ja früher, da waren die Hosen- oder Sakkotaschen weit genug, um die lächerlichen zwei Türöffner aufzunehmen, ohne dass das Bein- und Oberkleid aus der Fassung geraten wäre. Die heutigen Sakkos sind ja so körperbetont zugeschnitten, dass sich oft nicht einmal ein Platz für Seiten- und Innentaschen ausgeht. Da kann man einen Schlüsselbund schon leicht vergessen! Und hören tu ich auch schon ein bisschen schlecht. Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber Schülerantworten ab der dritten Reihe kriege ich bei dem allgemeinen Geraschel und den desaströsen akustischen Verhältnissen in den Klassenräumen auch nicht mehr mit. Die Mitschüler genau so nicht.. Was ist übrigens mit den Lärmampeln? Kommen die jetzt oder rüstet man damit nur Kindergärten aus? Und bevor ich denn die Schulglocke nicht mehr höre und also den Unterricht zu spät beginne und natürlich auch zu früh beende, weil ich das Ende überhört haben könnte, habe ich mich denn entschlossen, als einer abzutreten, der praktisch nie krank gewesen ist und immer fleißig gehackelt hat: dem also auch die Segnungen der Hacklerregelung zuteil werden dürfen.

Im Übrigen kenne ich jetzt, nachdem ich lange in den Archiven Kakaniens unter der Rubrik Ehrentitel und Orden geforscht habe, den eigentlich gemeinten, den Hintersinn des OStR. Hinter der Oberfläche des O ES TE ER, also dem Ehrentitel Oberstudienrat, verbirgt sich eine in eine lateinische Sentenz verpackte Aufforderung, nämlich folgende: OMNIS SAPIENS TENDIT REQUIESCERE, also O S T R. Wenn man dieses zugegeben nicht mehr ganz klassische Latein ins Deutsche übersetzt, dann kommt man auf die Formel: Jeder Weise strebt nach Ruhe. Und das tue ich jetzt auch – ein bisschen.