Gründungsgeschichte des Musischen Gymnasiums

(= Kapitel 5 aus dem Aufsatz >Zur Brauchbarkeit der Prolegomena Bernhard Paumartners für die Schulprofildiskussion am Musischen Gymnasiums<)

(ABGEDRUCKT IM JAHRESBERICHT DES MUSISCHEN GYMNASIUM 1989/99)

 

Ergänzungen und Richtigstellungen zur Gründungsgeschichte

Damit ich in der Frage der geistigen Vaterschaft Klarheit gewinnen konnte, musste ich mich zwangsläufig auf das weite Feld der Gründungsgeschichte unserer Schule begeben und versuchen, die von Gareis auch in dieser Hinsicht hinterlassenen dunklen und trüben Stellen aufzuhellen, die mir für das Verständnis des Gesamtzusammenhanges bedeutsam erscheinen. Dabei habe ich ein paar nicht unwichtige, bisher nicht bekannte Fakten zusammentragen können, mit denen ich in der Lage bin, gleichsam als Nebenprodukt meiner eigentlichen Arbeit die von Gareis schief gesetzten Akzente richtigzustellen und das Bild unserer Schulgründung abzurunden. Ich beschränke mich in meiner Übersicht über die wichtigsten Vorgänge und Zusammenhänge auf die für die Einrichtung des Schulversuchs „Musisches Gymnasium“ kritische Phase; das sind etwa die Jahre 1957 bis 1966.[1] Der große zeitliche Abstand von über dreißig Jahren hat die Rekonstruktion der Gründungsgeschichte einerseits erschwert; das trifft insbesondere zu für die Berücksichtigung und Einarbeitung der Erinnerungen der Personen, die an der Gründung unmittelbar beteiligt waren und heute noch befragt werden können (Degenhardt, Reiter, Weinkamer). Andererseits lässt sich der Rahmen, in den die Schulgründung eingebunden war, genauer nachzeichnen (als es Gareis in seiner Dissertation möglich gewesen ist), da die damals bestimmenden Einflussgrößen in der Rückschau besser erkennbar bzw. schon von den Zeithistorikern erforscht sind. Manche Wiederholungen werden sich in diesem Abschnitt auf Grund des thematischen Zusammenhanges zwischen der geistigen Vaterschaft und der Schulgründung nicht vermeiden lassen.

Das Jahrzehnt vor unserer Schulgründung (Einrichtung bzw. Bewilligung des Schulversuchs am 19. September 1966) war, was den Lebensbereich Schule betrifft, ganz allgemein eine Phase großer Neuerungen mit schulorganisationsrechtlichen und auch sich abzeichnenden schulinhaltlichen Reformschüben. 1962 haben die großen Parteien nach jahrelangen und kontrovers geführten Verhandlungen und getragen von der Erkenntnis, dass die Sozialisation eines mündigen Staatsbürgers nur in einer demokratisch verfassten Schule gelingen kann, mit dem Schulgesetzwerk 1962 (Schulorganisationsgesetz, Religionsunterrichtsgesetz, Schulzeitgesetz, Bundes-Schulaufsichtsgesetz) die organisationsrechtliche Basis für das österreichische Schulsystem geschaffen (augenommen die land- und forstwirtschaftlichen Schulen). Im sogenannten Zielparagraphen (§ 2 SchOG), der auf Grund des Zweidrittelkonsenses gleichsam im Verfassungsrang steht, ist die Aufgabe der österreichischen Schule festgelegt worden und darin erkennbar die Vorstellung einer Schülerpersönlichkeit, die als mündiger Staatsbürger ihren Beitrag für den Fortbestand einer demokratischen Republik leisten kann. Die jahrelangen Verhandlungen der Parteien, die Befassung aller für Schulfragen zuständigen Gremien (das sind in Österreich nicht wenige) und die dadurch in Österreich ausgelöste bildungspolitische Diskussion in den Medien und der Öffentlichkeit haben zu einer Aufbruchsstimmung geführt, die insgesamt gesehen die Entwicklung innovativer erziehungs- und bildungspolitischer Ideen und Programme begünstigt hat.

Parallel zu den strukturellen und administrativen Festlegungen war es etwa ab Mitte der 50er Jahre zu einer grundlegenden Neubewertung des Bildungswesens gekommen. Die Nationalökonomie hatte in dieser Zeit begonnen, eine dynamische Sicht des Bildungssektors zu propagieren. Hatte man diesen bisher nur unter dem Gesichtspunkt der das Budget belastenden Ausgaben betrachtet, sah man jetzt in der Ausbildung der Bevölkerung eine Investition für die Zukunft. Politische Bedeutung bekam diese Sicht, als die Große Koalition diese 1961 in ihre Regierungserklärung übernahm. Seit diesem Zeitpunkt bestimmten Schlagwörter wie „Mobilisierung des geistigen Kapitals“ oder „Zinsertrag für die Allgemeinheit“ die bildungspolitische Diskussion einer breiten Öffentlichkeit. In keiner Phase der österreichischen Nachkriegsgeschichte sind so viele neue Schulen geschaffen worden wie in den Jahren zwischen 1963 und 1973. Mit diesen Schulneubauten und den damit stetig steigenden Bildungsausgaben trug man den gleichzeitig und kontinuierlich anwachsenden Schülerzahlen und der unerwartet starken Bildungsneigung der österreichischen Bevölkerung Rechnung. Für unseren Zusammenhang bedeutsam ist die Tatsache, dass diese neue dynamische Sicht des Bildungssektors in diesen Jahren von allen politischen Kräften geteilt und erkennbar etwa ab dem Jahr 1957 der gesamte Bildungsapparat in Bewegung gesetzt worden ist, um eine Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungsqualität zu erreichen. Ohne Zweifel war das vordringliche Ziel dieser Bildungspolitik der vermehrte Output von Naturwissenschaftlern und Technikern, doch mobilisierte die Aufbruchsstimmung dieser Jahre ganz allgemein die immer breiter streuenden Bildungsinteressen der Österreicher, die sich beispielsweise auch in der unterschätzten Inanspruchnahme der Musisch-pädagogischen Realgymnasien äußerten.[2]

Die von Gareis unter dem Begriff der ideellen Grundlegung für den Schulversuch „Musisches Gymnasium“ angeführten Vorgänge und Aktivitäten im Bundesland Salzburg wie die 1. Studientagung 1959 in Mauterndorf über Fragen der musischen Erziehung oder die X Internationale pädagogische Werktagung im selben Jahr, die Zusammenkünfte des Salzburger pädagogischen Arbeitskreises, in dem die Neugestaltung des Gymnasialunterrichtes auf musicher Basis diskutiert worden ist, die Zunahme der Artikel dazu in der pädagogischen Fachwelt, wofür der Aufsatz von Paumgartner 1959 in der Zeitschrift Musikerziehung nur ein Beispiel für viele ist[3], dürfen aber nicht nur vor dem Hintergrund der gesamtösterreichischen Bildungsexpansion, sondern müssen auch im Zusammenhang mit der besonderen Entwicklung im Bundesland Salzburg gesehen werden. Der österreichweite Reformschwung bekam nämlich in Salzburg auf Grund des Selbstverständnisses als Stadt der schönen Künste mit weltweiter Ausstrahlung bzw. der darauf Bedacht nehmenden Landespolitik eine stark kulturelle und kunstbezogene Ausrichtung. In keinem Bundesland beanspruchten Fragen und Vorhaben der Kulturpolitik einen derart großen Platz in der Selbstdarstellung wie im Bundesland Salzburg.[4] Zusätzlich hatte der Ausbau der Universität, aber auch das Vorhaben, die Voraussetzungen für eine ganzjährige Kunstakademie zu schaffen[5], eine Partizipationsbereitschaft ausgelöst, die bis in die Diskussionszirkel aufgeschlossener Gymnasialpädagogen verfolgbar ist. Das von Landeshauptmann Lechner im April 1965 notierte Desiderat, dass „das kulturelle Leben in Stadt und Land Salzburg immer wieder auf ein so breites und so starkes Fundament gestellt werden (muss), dass Festspiele und Universität nicht nur ein überdimensionaler Aufbau auf einer dünnen Schicht lokaler Kultur“ sind[6], lässt sich in unserem Zusammenhang fast als eine Aufforderung lesen, die auch an die Gymnasialpädagogenschaft gerichtet war, von der Möglichkeit, die der neue § 7 des SchOG bezüglich der Einrichtung von Schulversuchen bietet, in einer für die Kulturstadt wünschenswerten Weise Gebrauch zu machen. Die für das Bundesland Salzburg angeführten Vorgänge und Aktivitäten bildeten im Hinblick auf die Einrichtung eines musischen Schulversuchs neben der österreichweiten Ausstrahlung der Bildungsexpansion den atmosphärischen Hintergrund und schufen Ausgangsbedingungen, welche die Verwirklichung dieses Vorhabens auf spezifische Weise förderten.

Ein Pädagoge, der in diesen Jahren über die Bedeutung der musischen Erziehung für eine ganzheitliche Erziehung nicht nur nachdachte und schrieb, war der Kunsterzieher Adolf Degenhardt. Seine pädagogischen Vorstellungen sind von der musischen Ausrichtung eines Wiener Privatgymnasiums beeinflusst worden (Degenhardt maturierte am Neuland-Gymnasium, das von einer progressiv-katholischen Gruppierung, dem Bund Neuland, betrieben wurde); später von der Erziehungsphilosophie der Kunsterzieherbewegung. Seine Ideen zu einem musischen Reformgymnasium, das einen einer ganzheitlichen Erziehung dienenden Ausgleich zwischen den naturwissenschaftlich-technischen und den musischen Fächern erproben sollte, hatte er bereits 1957[7] vorgelegt. Nachdem in seiner Schule, einem Humanistischen Gymnasium, Musik und Bildnerische Erziehung in der 6. Klasse überhaupt nicht unterrichtet und in den beiden letzten Klassen nur als alternative Pflichtgegenstände im Ausmaß von 2 Stunden geführt wurden, also insgesamt ein Aschenbrödeldasein führten[8], war es das Anliegen Degenhardts, diese exklusive Alternative zu beseitigen, beide Gegenstände als vollwertige Fächer in jeder Jahrgangsstufe des achtjährigen Curriculums zu verankern und das Musische als Unterrichtsprinzip für alle Fächer aufzuwerten. Degenhardt war aber mit seinen Plänen, die auf ein musisch-humanistisches Reformgymnasium hinausliefen, in der Direktion seiner früheren Schule, dem Akademischen Gymnasium, auf wenig Verständnis gestoßen. Dieses fand er nach seinem Wechsel an das BG II im Schuljahr 1961/62 bei Hofrat Kaforka und einer auch von Paumgartner inspirierten Gruppe um Albin Reiter[9] und bald war es ihm gelungen, eine Gruppe gleichgesinnter Pädagogen um sich zu scharen, die man mit Fug und Recht als die Gründungsväter des Musischen Gymnasiums bezeichnen kann. Zu ihnen gehörten neben Adolf Degenhardt und Erich Kaforka: Albin Reiter, Alfred Strauß, Franz Schirlbauer und Erich Weinkamer.[10] Diese sechs Kollegen haben durch ihre gemeinsam erstellten inhaltlichen und organisatorischen Konzepte den Plan zu einer Schulgründung so weit vorangetrieben, dass das Bundesministerium für Unterricht dem vom LSR für Salzburg am 11. Juni 1965 gestellten Antrag, am BG II einen Schulversuch „Musisches Gymnasium“ einzurichten, am 19. September 1966 zugestimmt hat. Diese ministerielle Zustimmung bzw. der Bescheid des Ministeriums vom 19. September 1966 Zl 100. 640-V/4b/66 ist demnach der eigentliche Gründungsakt unserer Schule. Allem Anschein nach ist Adolf Degenhardt bei den Beratungen in der Phase vor der Bewilligung des Schulversuchs, nach seiner Einrichtung und auch nach seiner Bestellung zum Fachinspektor (1968) die treibende Kraft gewesen und er war es auch, der die Zielsetzungen des Schulversuchs in den entscheidenden Jahren dem Minis­terium gegenüber vertreten hat.[11]

Da ein Schulversuch nach dem österreichischen Schulrecht nur über Antragstellung des jeweiligen Landesschulrates und die Bewilligung durch das Unterrichtsministerium eingerichtet werden konnte, musste natürlich auch der damalige Präsident des LSR Hofrat Laireiter mit dem Vorhaben befasst werden. Laireiter, der auf Grund seiner Prägung durch die Jugendbewegung und Reformpädagogik an der Verwirklichung musischer Erziehungsziele grundsätzlich interessiert war, stand dem Vorhaben von Anfang an wohlwollend gegenüber. Dies traf auch auf den nach der Verfassung für das Schulwesen im Bundesland Salzburg verantwortlichen Landeshauptmann Dr.Hans Lechner zu, der die Verwirklichung seiner eigenen, ebenfalls vom Bund Neuland beeinflussten pädagogischen Vorstellungen in einem musischen Reformgymnasium nach dem Salzburger Zuschnitt in Aussicht gestellt sah.[12] Lechner hat in seinem bereits angesprochenen Rechenschaftsbericht im April 1965 spezielle bildungspolitische Desiderata beschrieben, welche mindestens als eine Ermunterung der Gründungsväter verstanden werden konnten, einen Antrag auf Einrichtung eines Schulversuchs zu stellen und die Zeit bis zu seiner Bewilligung mit einer Art Probelauf zu nützen. In diese Zeit fällt auch eine Vorsprache Paumgartners bei Landeshauptmann Dr. Lechner. Paumgartner war als Festspielpräsident des öfteren bei Landeshauptmann Lechner zu einer Besprechung. Diesmal aber war Paumgartner von Hofrat Kaforka, Degenhardt und Reiter gebeten worden, sich bei Dr. Lechner dafür zu verwenden, dass sich der LSR zu einer positiven Behandlung des Antrags entschließt. Paumgartner, der von Reiter von dem geplanten Schulversuch unterrichtet worden war, zeigte sich von der Aussicht der Institutionalisierung eines Reformgymnasiums erfreut, das zwar nicht seinem Konzept der organischen Angliederung einer Klasse junger Künstler an das Mozarteum entsprach, sagte aber natürlich seine Unterstützung zu, da die neue Schule ja grundsätzlich auch Musikern offenstehen würde, die eine musisch reformierte humanistische Allgemeinbildung anstreben wollten.[13] Der Einsatz von Paumgartner hatte nach der Einschätzung von Degenhardt[14] eine beschleunigende Wirkung.

Nicht zu unterschätzen in diesem Zusammenhang ist auch die intellektuelle und moralische Unterstützung, welche die Salzburger Nachrichten dem Schulversuch gerade in der kritischen Phase vor der Antragstellung und Zustimmung des Ministeriums zukommen haben lassen. Unter der Leitung des damaligen Kulturchefs Max Kaindl-Hönig hat die Zeitung das kulturelle Geschehen in der Stadt Salzburg aufmerksam verfolgt, für die Publikation und Diskussion schul- und bildungspolitischer Themen ihr Medium zur Verfügung gestellt und oft auch selber Kulturpolitik betrieben. Beispielsweise hatte Kaindl-Hönig, als es um die Frage der Festspielpräsidentschaft ging, Bernhard Paumgartner favorisiert und diesem in seinem Blatt breiten Raum für die Darstellung seiner Konzepte eingeräumt. 1960 war Paumgartner nicht ohne Zutun des Kulturchefs der Salzburger Nachrichten tatsächlich zum Festspielpräsidenten gekürt worden. Fragen der Reform des Gymnasiums sind, wann immer sich dazu ein Anlass geboten hat, in einer für unser heutiges Empfinden überraschenden Breite behandelt worden.[15] Kaindl-Hönig, Gottfried Kraus, Sepp Käfer und andere haben immer wieder und unabhängig von den Gründungsvätern Leitartikel und Glossen zu Fragen der musischen Erziehung verfasst und damit dazu beigetragen, dass eine breitere Öffentlichhkeit für diese Thematik sensibilisiert werden konnte. Sie haben damit das grundsätzlich schon vorhandene Wohlwollen der Landespolitiker noch verstärkt. In diesen Zusammenhang gehört auch der Abdruck der Prolegomena in der Silvester- und Neujahrsausgabe der Salzburger Nachrichten 1964/65, der ebenfalls in den Verantwortungsbereich von Kaindl-Hönig fällt. In der Wiederveröffentlichung dieses bereits vor 5 Jahren publizierten Textes bzw in der Verwertung des Ansehens von Bernhard Paumgartner ein halbes Jahr vor der Antragstellung zum Schulversuch darf man wohl den gezielten Versuch erblicken, auch von dieser Seite die Entscheidung der Schulpolitiker des Landes positiv zu beeinflussen.[16]

Die Ideen einer musischen Erziehung als ein Ausdruck des uralten Menschheitstraumes von einem geglückten Leben reichen in unserem Kulturraum bis in die Antike zurück. Zu ihrer Ausformung haben mehr als hundert Generationen beigetragen. Sie mussten zur Zeit der Einrichtung unseres Schulversuches nicht neu erfunden werden und sind Allgemeingut. Auch Bernhard Paumgartner hat sich ihrer bedient, als er das Konzept seines musischen Gymnasiums der Stadt nach dem Ersten und dann wieder nach dem Zweiten Weltkrieg vorgestellt hat. Wenn das offizielle Salzburg auf wirkungsvolle Weise etwas über den Begriff der musischen Bildung in einem Gymnasium erfahren hat, dann vor allem über Paumgartner, der in dieser Stadt durch seine Funktion am Mozarteum und als Festspielpräsident großes Ansehen genoss. Seine Reputation und der bis zur Einrichtung des Schulversuchs fünfmal wiederholte Abdruck der Prolegomena in jeweils verschiedenen Medien hat einerseits sicher zur Verbreitung der Philosophie der musischen Bildung und Erziehung beigetragen, wie das den Gründungsvätern auf Grund ihres Wirkungskreises nicht möglich gewesen wäre, andererseits aber in der Öffentlichkeit auch zu einer so festen Verknüpfung des Namens Paumgartner mit dem Namen „Musisches Gymnasium“ geführt, dass die Schule, die 1966 ihre Pforten öffnete und ebenfalls den für eine Verwechslung anfälligen Namen „Musisches Gymnasium“ führte, fälschlich für sein Werk gehalten wird. Die gewichtigen Unterschiede zwischen beiden Konzepten hinsichtlich der Schülerklientel und der organisationsrechtlichen Verfassung beider Schulprojekte sind der breiten Öffentlichkeit aber auch deshalb nicht bewusst geworden, weil ein Teil der Gründungsväter selbst sich auf eine Weise, die zu Missverständnissen führen musste, auf Paumgartner berufen hat, aber auch durch die Kürzungspolitik der Salzburger Nachrichten, die bei ihrem für die Verbreitung in der Öffentlichkeit wichtigen Abdruck Anfang 1965 auch die Stellen herausgestrichen haben, welche die Erkenntnis der Unterschiede zwischen beiden Schulkonzepten erleichtern hätten können. Ein möglicher Grund für das Beharren auf der Gallionsfigur Paumgartner, das zum Teil wider besseren Wissens erfolgte, könnte neben den bisher angeführten Erklärungen sein, dass der Mythos seiner geistigen Vaterschaft auch noch in die Bewährungsphase des Schulversuchs bis zu seiner endgültigen Absicherung ausstrahlen sollte.

Die Ideen der musischen Erziehung waren, wie gesagt, Allgemeingut. Auch unsere Gründungsväter haben sich ihrer bedient. In Abwandlung eines berühmten Satzes von Karl Marx haben die Gründungsväter die Ideen der musischen Erziehung und Bildung im Vergleich zu Bernhard Paumgartner nicht nur verschieden interpretiert, sondern sie im Gegensatz zu ihm auch tatsächlich verwirklicht. Die Verwirklichung dieser Ideen ist vor dem Hintergrund der gesamtösterreichischen Bildungsexpansion dieser Jahre zu sehen und ist von den kulturpolitischen Rahmenbedingungen in Salzburg begünstigt worden. Das Verdienst von Bernhard Paumgartner ist es, dass er durch die unermüdliche Verfolgung seines eigenen (gescheiterten) Schulprojektes seinen Teil zu ihrer positiven Einfärbung beigetragen hat. Das musische Reformgymnasium unter diesen von verschiedener Seite positiv beeinflussten Rahmenbedingungen ins Leben gerufen zu haben ist das gemeinsame Werk der Gründungsväter und ihr Verdienst allein. Den Begriff der geistigen Vaterschaft kann man im Zusammenhang mit der Gründung des Musischen Gymnasiums aus den angeführten Gründen getrost fallen lassen.

 

 


[1] Die turbulenten Jahre der Bewährung des Schulversuchs bis zur verdienstvollen Abwehr seines drohenden Endes 1975 und der Überführung des Schulversuchs in das Regelschulwesen im Schuljahr 1976/77 sind in Gareis Dissertation dokumentiert; Gareis streicht allerdings die Mutation des Reformgymnasiums, welches unsere Schule im Jahrzehnt des Schulversuchs gewesen ist, zu einem Sondertyp des Gymnasiums mit all den bekannten positiven wie negativen Begleiterscheinungen und damit das Abweichen vom Konzept der Gründungsväter zu wenig deutlich heraus; nach Weinkamer ist diese Mutation von der Schule nie angestrebt worden. Nach seinem Urteil stieß die Philosophie des Reformgymnasiums spätestens zum kritischen Zeitpunkt des Ablaufs der Schulversuchsphase nach 10 Jahren im Ministerium insgesamt auf Unverständnis und man hat sich, damit die Ideen der musischen Erziehung und Bildung in irgendeiner Form weiterleben konnten, der Mutation zu einem Sondertyp beugen müssen. Um den Unterschied zwischen dem Reformgymnasium der Schulversuchszeit und dem heutigen Sondertyp klarzumachen, sei darauf hingewiesen, dass die musischen Kernfächer Bildnerische Erziehung und Musikerziehung in den Schulversuchsjahren nur in der 1. , der 7. und der 8. Klasse mit mehr Stunden ausgestattet waren als in der Regelschule und das Wahlpflichtfächer- bzw Schwerpunktfachsystem   in allen Jahrgangsstufen erst mit der Verwandlung zum Sondertyp 1976/77 eingeführt wurde;

[2] Daten und Zusammenhänge der bildungspolitischen Entwicklung dieser Jahre sind, auf den letzten Stand gebracht, gut dokumentiert bei Lorenz Lassnig, Bildungsreform gescheitert . . . Gegenreform? In: Österreich 1945 – 1995. Gesellschaft Politik Kultur. Hrsg. v. R. Sieder, H. Steinert u. E. Talos, 1995, S. 458 ff;

[3] Es müsste einer eigenen , hier nicht zu leistenden Untersuchung vorbehalten werden abzuklären, ob die in in diesen Jahren in der Fachwelt einsetzende Diskussion schon und auch als eine Reaktion auf die Favorisierung des naturwissenschaftlich-technischen Bildungsideals durch die offizielle Bildungspolitik gesehen werden kann oder in ihrer Frontstellung gegen die persönlichkeitsschädigenden Einflüsse der Technik den altbekannten Argumentationslinien folgt, wie dies bei Paumgartner der Fall ist;

[4] Die Salzburger Nachrichten veröffentlichten im ersten Halbjahr 1965 jeweils ganzseitige Leistungsschauen und Vorhabensberichte der Bundesländer; der Aufsatz des Salzburger Landeshauptmannes Dr. H. Lechner übertrifft die Darstellung seiner Kollegen hinsichtlich der Gewichtung der Sparte Kultur bei weitem;

[5] Landeshauptmann Lechner reagierte mit dieser Absichtserklärung auch auf die breit angelegte und argumentierende Forderung von Kaindl-Hönig in den Salzburger Nachrichten vom 17. Februar 1965 (auf der Titelseite); die Kunstakademie ist dann erst ein Jahrzehnt später errichtet worden;

[6] Lechner aaO., S. 3;

[7] Adolf Degenhardt, Über die musische Erziehung zu einer ganzheitlichen Erziehung. – In: Jahresbericht des Bundesgymnasiums in Salzburg (das ist das spätere Akademische Gymnasium) 1957/58, S. 3 ff;

[8] Die Situation an den anderen höheren Schulen war, ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, nicht viel besser; eine positive Veränderung dieser für die musischen Fächer unbefriedigenden Situation war nach dem neuen SchOG bzw den neuen zu erstellenden Lehrplänen nicht zu erwarten; die starke Vernachlässigung der musischen Fächer war auch ein Motiv für die Akzentsetzung bei der Namenswahl des „Musischen Gymnasiums“; so H. Gottas in der Salzburger Vokszeitung v. 5. 7. 1968, S. 8;

[9] Albin Reiter hatte in diesen und den folgenden Jahren einen Lehrauftrag am Mozarteum und gute Kontakte zu Paumgartner; ohne die Verdienste anderer Kollegen schmälern zu wollen, müssen doch insbesondere die unermüdlichen und kräfteraubenden Leistungen Reiters im Rahmen seiner Chorleitertätigkeit und für die zahlreichen musikalischen Darbietungen hervorgehoben werden, denen man einen Großteil der für die Antragstellung so wichtigen Überzeugungskraft des musischen Erziehungs- und Bildungsgedankens verdankt;

[10] einige unter ihnen vermutlich mit einer gewissen Sympathie für Paumgartner und sein Anliegen, auch angehenden Künstlern eine musisch-humanistisch geprägte Allgemeinbildung zu ermöglichen; vielleicht auch einige, welche die Divergenz zu seinem elitären Künstlerkonzept nicht realisiert hatten, weil sie entweder die Prolegomena nicht oder nicht aufmerksam genug gelesen hatten oder auf Grund ihrer eigenen Prägung deren besonderen Gehalt gar nicht wahrnehmen konnten; diese sechs Personen werden auch in einer der ersten Darstellungen, in der Salzburger Volkszeitung v. 2. 4. 1968, S. 3, in einem Zusammenhang als Initiatoren genannt;

[11]Diese Einschätzung wird auch von Hofrat Erich Weinkamer, dem Direktor der Jahre 1980 bis 1988 und selber einer der Gründungsväter geteilt; in der Salzburger Volkszeitung v. 2. 4. 1966, S. 3 wird Degenhardt als „Motor“ des Schulversuchs bezeichnet;

[12] Dasselbe gilt auch für Karl Wolf, zu dieser Zeit Pädagogikprofessor an der Salzburger Universität und ebenfalls Mitglied im Bund Neuland. Wolf stellte sich daher gleichfalls in den Dienst der Sache, bemühte seine Beziehungen zu den Kultusministerien der deutschen Bundesländer und ließ den Gründungsvätern eine Liste mit den Beschreibungen in der BRD bereits existierender musischer Sondertypen zukommen;

[13] siehe auch die oben in Fn 22 festgehaltene Vereinbarung zwischen dem Mozarteum und der Direktion des BG II hinsichtlich bestimmter Prüfungserleichterungen für Schüler, die das Musische Gymnasium und das Mozarteum besuchten;

[14] So Degenhardt in seinem Geleitwort aaO. S. 4;

[15] beispielsweise beschrieb Sepp Käfer in der SN vom 9. 1. 1965 (S. 18) auf einer ganzen Seite die nach dem neuen SchOG möglichen Schullaufbahnen; am 5. , 10. und 21. Juni 1965 ging man zum Teil ausführlich auf die deutsche Bildungsplanung ein, die, wie die Schlagwörter „Bildungsnotstand“ und „Erfassung der Begabungsreserven“ zeigen, vor ähnlichen Problemen stand wie Österreich;

[16] Der Wiederabdruck der Prolegomena Paumgartners muss aber auch im Zusammenhang mit der Kunstakademie gesehen werden, auf deren Errichtung Kaindl-Hönig auch auf diesem Weg Einfluss zu nehmen versucht hat; der (gereinigte) Abdruck der Prolegomea hat im Übrigen auch zu zwei Reaktionen geführt. Sepp Käfer (SN v. 8. 1. 1965, S. 7) monierte aus Unkenntnis über die angehenden Künstler als der eigentlichen Schülerklientel den Primat der italienischen vor der englischen Sprache und am 24. 2. 1965 (S. 7) berichtet der Direktor eines Wiener Gymnasiums von einem 1964/65 eingerichteten Schulversuch, der es angehenden Musikern ermöglichen sollte, sich neben ihrer Berufsausbildung an der Akademie auch eine höhere Allgemeinbildung anzueignen.