Kommunikationsprobleme: Religiöse Dispute

Was sind die Ursachen für Kommunikationsprobleme

bei Diskussionen über religiöse Themen,

zum Beispiele über die Existenz Gottes?

 

(ABGEDRUCKT IM JAHRESBERICHT DES MUSISCHEN GYMNASIUM 2003/04)

 

 

Ein Unterrichtsprojekt aus dem Philosophieunterricht in einem Aufsatz zusammengefasst

Bei Diskussionen über religiöse Themen, zum Beispiel über die Existenz Gottes, geht es selten ruhig zu. Das ist besonders dann der Fall, wenn die Teilnehmer aus verschiedenen weltanschaulichen Ecken kommen. Nach dem Austausch ihrer Grundpositionen kann es bald einmal heftig werden. Das hat mit den starken Emotionen zu tun, von denen das Gespräch gefärbt und bestimmt ist, geht es doch bei der Gottesfrage um ein existenzielles Thema, das wenige kalt lässt. Mancher will sich hier durchsetzen, Recht bekommen und versucht daher seinen Gesprächspartner über den Tisch zu ziehen. Wenn dies aus begreiflichen Gründen, auf die noch einzugehen sein wird, nicht gelingt, bekommt der Gesprächspartner es mit den Überlegenheitsfühlen oder gar der Verachtung seines Kontrahenten zu tun. Dieselben Beobachtungen macht man bei der Lektüre von Aufsätzen zu einschlägigen metaphysischen Themen, die man auf Grund der Tatsache, dass die Verfasser auf die Positionen und Argumente von anderen AutorInnen, die sich ebenfalls zu diesem Thema äußern, reagieren und sie mit einbeziehen, auch als eine, eben größere und zeitlich versetzte Diskussionsrunde begreifen kann.

Wenn wir im Folgenden mit Begriffen aus der Kommunikationspsychologie, speziell mit denen aus dem Konzept der „Vier Seiten einer Nachricht“ die Besonderheiten beim Aufeinandertreffen von weltanschaulich verschiedenen Positionen beschreiben und erklären wollen, dürfen wir diesen Analyseraster daher auf beide Kategorien von Diskussionsrunden anwenden. Da die Standpunkte in der wissenschaftlichen Literatur klar ausformuliert und leichter zu dokumentieren sind als das ungeordnete Hin und Her in einer Runde im privaten Kreis oder einer Klassengemeinschaft, werde ich zur Verdeutlichung von Kommunikationsproblemen, die sich im Zusammenhang mit religiösen Disputen ergeben können, vorerst sechs dafür typische Stellungnahmen wiedergeben, die jeweils von hervorragenden Vertretern ihres Faches formuliert worden sind.

 

Ausgewählte Texte

Text 1 Ein Theologe im Dialog mit einem Agnostiker
Copleston (Jesuit): Ich betrachte religiöse Erfahrung nicht als strengen Beweis für die Existenz Gottes [. . .]. Aber ich finde, dass die beste Erklärung dafür die Existenz Gottes ist [. . .]. Das (religiöse) Grunderlebnis kann man jedenfalls am leichtesten mit der Hypothese erklären, dass es dafür tatsächlich eine objektive Ursache gibt. Russell (englischer Philosoph; Agnostiker): Ich möchte auf ein solches Argument erwidern, dass es eine sehr heikle Sache ist, von unserem eigenen geistigen Zustand auf etwas außerhalb von uns zu schließen.[1]

 

Text 2 Küng (katholischer Theologe): Der Preis, den der Atheismus für sein Nein zahlt, ist offenkundig. Er setzt sich der Gefährdung durch eine letztliche Grundlosigkeit, Haltlosigkeit, Ziellosigkeit aus: der möglichen Sinnlosigkeit, Wertlosigkeit, Nichtigkeit der Wirklichkeit überhaupt [. . .], auch der Gefährdung durch eine letzte Verlassenheit, Bedrohtheit und Verfallenheit aus mit den Folgen des Zweifels, der Angst, ja der Verzweiflung. Dies alles natürlich nur, wenn der Atheismus Ernstfall und nicht intellektuelle Attitüde, snobistische Koketterie oder gedankenlose Oberflächlichkeit ist [. . .]. Für den Atheisten bleiben jene letzten und doch zugleich nächsten und durch kein Frageverbot zu verdrängenden ewigen Fragen des menschlichen Lebens unbeantwortet [. . .], sondern dass Gott vorausgesetzt werden muss, sofern man überhaupt sinnvoll sittlich leben will.[2]

 

Text 3 Feuerbach (Atheist 19. Jhd., nach dem sich Atheismus und eine bestimmte Form von Religiosität nicht ausschließen): In der Tat hat sich auch der Theismus, die Theologie, der Gottesglauben bei uns so sehr mit der Religion identifiziert, dass keinen Gott [. . .] und keine Religion haben für eins gilt [. . .]. Ursprünglich drückte aber die Religion gar nichts aus als das Gefühl des Menschen von seinem Zusammenhang, seinem Einssein mit der Natur oder Welt [. . .]. Ich selbst, obgleich ich Atheist bin, bekenne mich offen zur Religion in dem angegebenen Sinne, zur Naturreligion [. . .]. Ich schäme mich nicht meiner Abhängigkeit von der Natur. Ich gestehe offen, dass die Wirkungen der Natur nicht nur meine Oberfläche, meine Rinde, meinen Leib, sondern auch meinen Kern, mein Inneres affizieren, dass die Luft, die ich bei heiterem Wetter einatme, nicht nur auf meine Lungen, sondern auch meinen Kopf wohltätig einwirkt, das Licht der Sonne nicht nur meine Augen, sondern auch meinen Geist und mein Herz erleuchtet. Und ich finde diese Abhängigkeit nicht [. . .] in Widerspruch mit meinem Wesen, hoffe deswegen auch keine Erlösung von diesem Widerspruch. Ebenso weiß ich, dass ich ein endliches, sterbliches Wesen bin, dass ich einst nicht mehr sein werde. Aber ich finde dies sehr natürlich, und deswegen bin ich vollkommen versöhnt mit diesem Gedanken.[3]

 

Text 4 Ayer (britischer Sprachanalytike neopositivistischer Prägung): Der Theist [. . .] mag glauben, dass seine Erfahrungen Erkenntnis bergende Erfahrungen sind; solange er aber seine „Erkenntnis“ nicht in empirisch verifizierbare Propositionen (= Sätze) fassen kann, können wir gewiss sein, dass er sich selbst etwas vormacht. Daraus folgt, dass solche Philosophen, die ihre Bücher mit Behauptungen füllen, sie „wüssten“ intuitiv um diese oder jene moralische oder religiöse „Wahrheit“, nur Material für den Psychoanalytiker liefern.[4]

 

Text 5 Brecht (Marxist): Einer fragte Herrn K., ob es Gott gäbe. Herr K. sagte: „Ich rate dir nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.“ [5]

 

Text 6 Wittgenstein (österreichischer Sprachphilosoph): Wenn man mich fragt, ob ich an das jüngste Gericht glaube oder nicht, in dem Sinne, in dem religiöse Menschen daran glauben, dann würde ich nicht sagen“ Nein, ich glaube nicht, dass es so etwas geben wird“. Es würde mir ganz verrückt vorkommen, das zu sagen [. . .]. Ich kann es nicht sagen. Ich kann ihm nicht widersprechen.

 

Angenommen jemand ist krank und sagt „Dies ist eine Strafe“, und ich sage “Wenn ich krank bin, denke ich überhaupt nicht an Strafen.“ Auf die Frage „Glaubst du denn das Gegenteil?“ – nun, man kann es so nennen, obwohl es etwas ganz und gar anderes ist als das, was wir normalerweise „das Gegenteil glauben“ nennen würden.

Ich denke anders, auf eine andere Weise. Ich sage mir selbst andere Sachen als er. Mir schweben andere Bilder vor.[6]

 

Nach dem von Friedmann Schulz von Thun entwickelten Konzept der „Vier Seiten einer Nachricht“ [7] geht es beim Kommunizieren nicht einfach nur um den Austausch von Informationen. Ein Mann, der im Auto neben seiner den Wagen steuernden Frau sitzt und zu ihr, als die Ampel auf Grün umschaltet, sagt „Du, da vorne ist grün!“, macht damit nicht nur eine Aussage über die Position des Signallichtes (Sachebene). Dass er damit vielleicht auch etwas über seine eigene Befindlichkeit aussagt, merkt er, wenn seine Frau ihm antwortet: „Kein Anlass zur Eile. Wir kommen noch rechtzeitig hin.“ Offenbar hat der Gatte bei seinem Satz auch auf der so genannten Selbstoffenbarungsebene (Eile, Nervosität usw.) „gesendet“, was seine Frau aus der Sprechgeschwindigkeit oder seinem Tonfall geschlossen hat. Wenn seine Begleiterin aber – leicht gereizt – geantwortet hat „Fährst du oder ich?“, hat sie den Satz ihres Mannes weder als eine Aussage auf der Sachebene, auch nicht auf der Selbstoffenbarungsebene wahrgenommen, sondern auf der so genannten Beziehungsebene. In der Art, wie wir miteinander kommunizieren, drücken wir nämlich immer auch aus, wie wir zueinander stehen, was wir voneinander halten, was wir dem anderen zutrauen usw. Die Frau reagiert so, weil sie in dem Satz ihres Mannes einen Vorwurf gehört hat, den man etwa mit „Du kannst immer noch nicht Auto fahren. Ich muss mich um alles kümmern.“ wiedergeben kann. Wenn die Gattin schließlich antwortet „Ich fahr ja schon!“, hat sie in dem scheinbar so harmlosen Satz ihres Mannes einen Appell gehört, doch loszufahren. Wenn wir kommunizieren, verbinden wir mit unseren Sätzen immer auch – mehr oder weniger deutlich bekannt gegebene – Absichten. Die Kommunikationspsychologen sprechen in diesem Fall von der Appellebene, auf der eben auch immer „gesendet“ (und auch die Nachricht „empfangen“, allerdings nicht immer so verstanden“) wird. Natürlich kann die Lenkerin auch einfach nur sagen: „Ja, ich sehe es.“ Dann hätte sie die Äußerung ihres Begleiters, die je nach Tonfall und sonstigen körpersprachlichen Begleitumständen alles andere als eine bloße Information gedacht sein kann, nur mit ihrem Sachohr, also auf der Sachebene wahrgenommen.

Wie man an diesem trivialen Beispiel sieht, ist Kommunizieren mit dem Hin und Her zwischen einem Sender und einem Empfänger eine ziemlich komplizierte Angelegenheit, die Anlass für mancherlei Missverständnisse und Störungen gibt. Ihr Auftreten hat mit den oft nicht klar geäußerten, oft mit den unbewussten, aber körpersprachlich doch vorhandenen und mit gesendeten Befindlichkeiten, Einstellungen und Absichten dem anderen gegenüber zu tun.

 

Das Konzept der „Vier Seiten einer Nachricht“ lässt sich nun folgendermaßen auf die besondere Kommunikationssituation eines religiösen Disputes anwenden.

 

Scheinbar diskutieren die Diskutanten in einem aktuellen Gespräch oder Philosophen und Theologen in einer schriftlichen Abhandlung als einer zeitversetzten Gesprächsrunde ausschließlich auf der Sachebene (Text 1). Die Semantik der eingesetzten Begriffe (vgl. dazu die unterstrichenen Begriffe) lässt den Schluss zu, dass sie die Lösung des in Frage stehenden Problems (Existenz Gottes) für eine Angelegenheit des Argumentierens halten, in der sich schlussendlich die Wahrheit von Behauptungen und die besseren Gründe durchsetzen werden. Das heißt mit anderen Worten aber auch, dass sich der eine dem anderen gegenüber durchsetzen will und dies auch grundsätzlich für möglich hält. In jeder solchen Diskussion schwingt daher mehr oder weniger (mindestens implizit) ein Appell mit, den man etwa mit der Formel wiedergeben kann „Vertritt gefälligst meinen besser abgesicherten Standpunkt!“ Berücksichtigt man nun auch Text Nr. 2 und 4, wird mit aller Deutlichkeit klar, wie sehr besonders auch auf der Beziehungsebene kommuniziert wird. Küng, der katholische Theologe, und Ayer, der britische Sprachanalytiker, halten mit ihrer Meinung, was sie von ihren (hier nicht physisch anwesenden) Gesprächspartnern halten, nicht hinter dem Berg. Ein jeder konfrontiert den anderen mit dem Verdikt einer in gewisser Weise defizienten Lebensführung.

Zu einem tieferen Verständnis der psychischen Kräfte, die in den Texten 2 und 4 nachgewiesen werden können, reicht das Konzept von den „Vier Seiten einer Nachricht“ freilich nicht aus. Da bei interkonfessionellen Disputen auf eine ganz hervorragende Weise Bedürfnisse und Emotionen mitspielen, scheint es angebracht, die Auseinandersetzungen über theologisch-philosophische Themen auch einmal unter dem psychologischen Gesichtspunkt des Einstellungsbegriffes zu betrachten.

 

Zur Psychologie der Einstellung

 

Was verstehen die Psychologen unter einer Einstellung? Eine Einstellung ist eine relativ stabile Disposition eines Menschen, die sich darin äußert, dass er gegenüber einer Person, Personengruppe oder Situation in beständiger Weise reagiert. Einstellungen setzen sich weiter aus drei Komponenten zusammen: aus Überzeugungen und Vorstellungen (kognitive Komponente oder mentale Akte), aus damit verbundenen Emotionen und einer gewissen Handlungsbereitschaft. Die mentale und die emotionale Komponente treten, wenn sich Einstellungen bemerkbar machen, gemeinsam auf, die Handlungskomponente kann, muss aber aus verschiedenen Gründen nicht damit verknüpft sein. Beispielsweise muss bei einem von seiner Einstellung her als Antisemit geprägten Menschen die Handlungskomponente in einer Situation, in der es einen Handlungsanlass gäbe, nicht auftreten (weder in einem verbalen noch nichtsprachlichen Akt der Diskriminierung; vgl. dazu die entsprechende Rubrik im folgenden Komponentenschema).

Einstellungen setzen sich also aus drei Komponenten zusammen. Auch der Glauben ist – psychologisch gesehen – eine aus solchen Komponenten bestehende Einstellung; allerdings eine von besonders existenzieller Bedeutung und daher auch mit Ausstrahlung auf weitere Einstellungen, zum Beispiel zu Minderheiten, Fragen der Familien-, Sozial-, Wirtschafts-, Umweltpolitik usw.). Zur kognitiven Komponente gehören die religiösen Vorstellungen und Überzeugungen; zur emotionalen die mit dem Glauben verbundenen starken Gefühle in allen möglichen Lebenssituationen (wie Zufriedenheit, Geborgenheit, Momente des Glücks usw.); schließlich die mit dieser Glaubenseinstellung zusammenhängende Handlungen, die nicht ausbleiben dürfen, soll der Glauben kein Etikettenschwindel sein.

Die drei angegebenen Komponenten des Phänomens der Einstellung sollen am Beispiel des Atheismus und Theismus veranschaulicht werden.

 

a) die kognitive Komponente

Die kognitive Komponente bezieht sich auf dieser Einstellung entsprechende Überzeugungen oder mentale Akte, die sich noch ohne Bezugnahme auf einen Gesprächspartner vorerst im Kopf formieren und so formuliert werden können: “Gott existiert” oder “Ich glaube an die Existenz Gottes”. Der Atheist hat andere Vorstellungen und Überzeugungen (“Gott existiert nicht” oder “An seine Existenz glaube ich nicht” oder besser „Ich habe andere Bilder im Kopf“; siehe dazu weiter untern die Ausführungen zu Text 6 bzw. Wittgenstein).

 

b) die emotionale Komponente (im Zusammenhang mit religiösen Disputen)

Solche Überzeugungen und Vorstellungen sind auf beiden Seiten mit bestimmten starken Emotionen verbunden, die von einem Orientierung verschaffenden “Richtigkeitsgefühl” in Verbindung mit einer gewahrten Neutralität gegenüber anderen Einstellungen bis zu einem Überlegenheitsempfinden oder gar Verachtungsgefühl über die jeweils andere Position reichen können.

 

c) die Handlungskomponente

Einstellungen machen sich nun nicht nur in Überzeugungen, Vorstellungen und damit verbundenen Gefühlen bemerkbar, sondern immer wieder in einem nach außen tretenden Verhalten, das mit den zu Grunde liegenden Einstellungen grundsätzlich korreliert. Ein Theist wird als gläubiger Christ zum Beispiel die Sonntagsmesse besuchen, die Sakramente empfangen und sich seinem Nächsten gegenüber seinen Glaubensgrundsätzen entsprechend verhalten. Er kann sich mit einem Nichtgläubigen an einen Tisch setzen und dort Behauptungen über die Existenz Gottes aufstellen und / oder ihn von der Unhaltbarkeit seiner Position überzeugen wollen oder auch, wie das im Zeitalter der Kreuzzüge geschehen ist, seiner Glaubensüberzeugung mit der Waffe in der Hand Nachdruck verleihen. Auch der Atheist wird so wie der Theist seiner Einstellung entsprechend handeln. Auch er wird seinen Mitmenschen oder seiner Umwelt gegenüber ein moralisches Verhalten an Tag legen, was freilich von Küng bezweifelt wird, der meint, dass einem Atheisten mit seinem fehlenden Glauben an ein höchstes Wesen die Basis für ein moralisch verantwortetes Leben fehlt (vgl. dazu Text 2). Das moralische Verhalten des Atheisten wird eines sein, das nicht religiös im Sinne eines Gottglaubens gebunden ist. Er wird daher am Sonntag keinen Gottesdienst besuchen wollen. Er kann seine Überzeugung von der Nichtexistenz Gottes in einer Diskussion in einem Aussagesatz verbalisieren. Es kann sein, dass er einem Theisten gegenüber sich seinerseits zu missionarischen Handlungen hinreißen lässt, die von einem Überlegenheitsgefühl begleitet sind, die in der Behauptung gipfeln, der Gottglaube wäre für seinen Gesprächspartner so etwas wie eine Krücke, die er, der Atheist, nicht nötig hätte (vgl. dazu Ayer in Text 4). In ein Schema gebracht sieht das etwa so aus:


 

Beispiele für die drei Komponenten

 

 

 Kognitive Komponente

(mentale Akte)

 Emotionale Komponente

 Handlungskomponente

 

Einstellung

 

Überzeugung, Vorstellung von jedem Kommunikationsthema

 

 

Richtigkeitsgefühl in Verbindung mit der Beurteilung des Kommunikationspartners von seiner Wertschätzung über Neutralität bis hin zu Überlegenheit und Verachtung ihm gegenüber

 

 

a) sprachlich: eine nach außen wahrnehmbare, der kognitiven Komponente entsprechende Äußerung in einer Kommunikationssituation b) nichtsprachliche      Handlung

 

Theismus

Gott existiert / Ich bin von derExistenz Gottes überzeugt / Das war ein sündhaftes Verhalten von mir, das ich wieder gut machen muss. / Andersgläubige stehen genauso nah zu Gott wie ich … Andersgläubige haben einen falschen Glauben usw.

 

Richtigkeitsgefühl in Verbindung mit der Beurteilung des Kommunikationspartners von seiner Wertschätzung über Neutralität bis hin zu Überlegenheit und Verachtung ihm gegenüber

 

a) Gott existiert / Überzeugungsversuch einem Andersgläubigen gegenüber

b) z.B. Kirchgang, Sakramen-tenempfang; Werke der christlichen Nächstenliebe; Kreuzzüge …

 

Atheismus

Gott existiert nicht. / Das war moralisch falsch von mir. / Das muss ich wieder gut machen. / Mein Atheismus ist die einzig vertretbare Position in der Gottesfrage … Gläubige Menschen sind minderbemittelte Wesen … Atheismus und Theismus stehen auf derselben Wertstufe.   usw. Richtigkeitsgefühl in Verbindung mit der Beurteilung des Kommunikationspartners von der Wertschätzung über Neutralität bis hin zu Überlegenheit und Verachtung ihm gegenüber a) “Gott existiert nicht” /Überzeugungsversuch einem Gläubigen gegenüberb) moralisches Verhalten ohne religiöse Rückkoppelung

 

 

Funktion einer Einstellung: Orientierung, Stabilität der Wahrnehmung, Konsonanz durch Selektivität und Verzerrung

 

Über die komplizierten Zusammenhänge zwischen den drei Komponenten werden von den Psychologen breite Abhandlungen geschrieben. Für unseren Zusammenhang sollen einige wichtige Erkenntnisse aus der psychologischen Fachliteratur hervorgehoben werden.

Mit den einmal gewonnenen Einstellungen verschaffen wir Menschen uns Orientierung in der Welt und halten sie über den Mechanismus der Konsonanz stabil. Wir haben die in den meisten Fällen sehr nützliche Gewohnheit alles, was wir wahrnehmen, so zu interpretieren, dass das Wahrgenommene unserer Einstellung entspricht (Konsonanz).

Um uns quälende Dissonanzen zu ersparen, selektieren wir aus der Informationsfülle die Daten heraus, die unserer Einstellung entsprechen. Wenn eine Reizstruktur einer vorherrschenden Einstellung nahezu, jedoch nicht völlig entspricht, kann unsere Wahrnehmung so verzerrt werden, dass sie mit der betreffenden Einstellung übereinstimmt Auf diese Weise bleibt die Welt um uns stabil und wir müssen uns bzw. unsere Einstellungen nicht ändern.

Einstellungen haben also die Funktion von grundlegenden Orientierungen. Diese bewirken Sicherheit im Umgang mit Menschen, bei der Behandlung von Konflikten und Entscheidungen usw. An den politisch wirksamen Ismen (Konservativismus, Liberalismus, Sozialismus usw. bzw. aus den ihnen folgenden verschieden akzentuierten Zugriffen auf Regelungsmaterien (Familien-, Einkommens, Wirtschaftspolitik usw.) kann man die Mechanismen der Selektivität der Wahrnehmung gut studieren. Begreiflicherweise wollen wir uns die mit einer einmal etablierten Einstellung gewonnene Sicherheit nicht einfach nehmen lassen. Weil also diese Einstellungen mit starken Emotionen verbunden sind, sind sie, wie die Psychologen sagen, “löschungsresistent” Sie lassen sich nämlich nicht einfach durch die Konfrontation mit anderen, (vielleicht richtigen) Informationen aufweichen.

Religiöse Dispute, die wir nach dem Konzept der „Vier Seiten einer Nachricht“ als eine Kommunikationsform verstehen müssen, bei der es nicht nur um reinen Informationsaustausch geht, lassen sich im Drei-Komponenten-Konzept der Einstellung also auch als ein Beispiel für seine Handlungskomponente verstehen. Sich auf Kreuzzüge zu begeben, Missionsarbeit zu leisten oder karitative Aktionen zu organisieren wären andere ebenfalls unter dieser Komponente einzuordnende Handlungen.

Die emotionale Komponente macht sich bei religiösen Einstellungen in besonderer Weise bemerkbar. Wir haben oben vom Glauben als einer besonders wichtigen Einstellung gesprochen, weil er, wenn er gelebt wird, existenzielle Bedeutung hat. Er ist wirksam im so genannten Kernbereich der Persönlichkeit. In einem langwierigen Sozialisationsprozess erworben deckt er existenzielle Grundbedürfnisse ab und genießt aus diesem Grund auch verfassungsrechtlichen Schutz (Menschen- und Grundrecht auf Glaubensfreiheit), der darin besteht, dass dieser Bereich frei zu halten ist von Eingriffen des Staates, dass also beispielsweise niemand zur Teilnahme an einer religiösen Veranstaltung gezwungen werden darf usw. Nach außen bietet der Glauben einen umfassenden Orientierungsrahmen, der so etwas wie kognitive Dissonanz, nämlich ein Gefühl des Missklangs, der vom Aufeinandertreffen zweier widersprüchlicher Aussagen ausgelöst werden kann, nur ausnahmsweise aufkommen lässt. Das Theodizeeproblem, das heißt die Rechtfertigung Gottes angesichts des von ihm zugelassenen Übels in der Welt, ist ein solches Beispiel. Das Problem bzw. die Dissonanz löst sich auf durch entsprechende Adaptierungen im Kognitiven; zum Beispiel dadurch, dass der Widerspruch geleugnet wird usw. Auch im Falle anderer argumentativer Notstände in religiösen Disputen mögen Dissonanzgefühle auftreten, werden aber ebenfalls kurzfristige Ausnahmen bleiben. Denn die in den Tiefen der Emotionalität wurzelnde Glaubenseinstellung lässt sich durch widersprüchliche Informationen, also durch ein Geplänkel auf der kognitiven Ebene, nicht erschüttern. Gerade auch in Diskussionen mit religiös-philosophischer Thematik kann man immer wieder beobachten, dass nicht ins Konzept der eigenen Einstellung passende Argumente des Kommunikationspartners einfach in den Wind geschlagen oder überhaupt nicht wahrgenommen werden Gefühle sind, wie wir aus der Lernpsychologie wissen, eben besonders löschungsresistent. Das gilt ganz besonders für den Glauben als eine auf die ganze Lebensführung ausstrahlende Grundeinstellung. Die Wandlung des Christenverfolgers Saulus zum gottgläubigen Christusnachfolger durch das ihn bestürzende, aber positive Erlebnis in Damaskus wäre ein Beispiel für die Hypothese der Psychologen, wonach eine Einstellungsänderung nicht durch die Konfrontation mit bloßer Information, sondern nur dann geschehen kann, wenn und nachdem eine Person einer Situation ausgesetzt wird, in der ihr Verhalten (dissonant mit der zu Grunde liegenden Einstellung) unmittelbar geändert wurde und dabei positive Aspekte des Verhaltens erfahren werden.

Geistes- und philosophiegeschichtlich ist der Disput über die Existenz Gottes mit Kant eingestellt worden. Auf der Sachebene, das heißt in Kants Terminologie auf der Ebene der reinen Vernunft, gibt es, weil der menschliche Verstand im Bereich der Metaphysik zu kurz greift und sich ständig in Ausweglosigkeiten (Aporien) verwickelt, nichts mehr Sinnvolles im Sinne der Wissenschaftlichkeit zu sagen. Warum das so ist, dafür gibt die evolutionäre Erkenntnistheorie eine interessante Erklärung. Die bei der Behandlung metaphysischer Probleme eingesetzten Kategorien der reinen Vernunft (Substanz, Kausalität usw.) sind nach dieser Theorie im Lauf der Jahrmillionen währenden Evolution in einem so genannten Mesokosmos entwickelt worden, das heißt in einer Welt der mittleren Dimensionen (Entfernungen, Zeit, Gewicht, Temperatur, Geschwindigkeiten und Beschleunigungen, in einer Welt mit bescheidener Komplexität also). Nach dieser Erklärung passen unsere evolutionär getesteten und bewährten Erkenntnisstrukturen auf die Wahrnehmung und Erfahrung eben in diesem Mesokosmos, taugen aber nicht für die Sphäre, die wir die transzendente nennen, sondern schlagen dort in die bekannten Aporien um. Sehr schön hat dies Ludwig Feuerbach am Beispiel des so genannten kosmologischen Gottesbeweises demonstriert, wenn er darauf hinweist, dass mit Gott als der ersten Ursache ein willkürlicher Schlusspunkt gesetzt wird. Niemand nämlich kann uns hindern, unserer Ursachensucht folgend (ein nur im Mesokosmos taugliches Apriori unserer reinen Vernunft) hinter diesen ersten Beweger zurückzugehen und diesen in dieselbe Verursachungsreihe hineinzustellen bzw. diese weiterzuführen, die wir im Diesseits zielführend begonnen haben[8]

Denselben Lösungsvorschlag, nämlich die Behandlung des Gottesproblems auszuklammern, weil es nicht als eines anzusehen ist, das auf der Sachebene lösbar wäre, macht Brechts alter Ego, Herr Keuner (Text 5). Er verweigert die Antwort auf die Frage, ob es einen Gott gibt, und verschiebt diese metaphysische Fragestellung auf die Ebene der Psychologie. Dort kann mit dem Hinweis auf die Orientierungs- und Leitfunktion eines Gottglaubens („Du brauchst einen Gott“) dem Fragenden eine weiterführende Antwort gegeben werden. Hat der Gottglaube die Funktion einer Verhaltensänderung nicht, kann die Frage nach der Existenz Gottes als unwichtig ad acta gelegt werden. Brechts Keuner-Geschichte macht uns damit auf das moralische Gebot der Etikettenwahrheit aufmerksam. Jeder Ismus rechtfertige sich durch ein seinem Gesamtkonzept entsprechendes Verhalten. Eine Einstellung ohne entsprechendes Verhalten gleicht der Präsentation einer Flasche scheinbar teuren Weines, auf der zwar das passende Etikett klebt, die aber im Übrigen leer ist. Überraschenderweise deckt sich Brechts Lösung in diesem Punkt mit der des großen Aufklärers Lessing, der in seiner Ringparabel die Frage nach der wahren Religion (und damit dem wahren Gott) ebenfalls bei Seite schiebt und in diesem Zusammenhang den Nachweises ihrer sozialhygienischen Funktion (in Brechts Terminologie: Verhaltensänderung) favorisiert und einfordert.

Dieser Transfer auf die Ebene der Psychologie scheint mir eine Problembehandlung zu sein, die einerseits dem Entwicklungstand in der philosophischen Auseinandersetzung nicht widerspricht und anderseits der besonderen Sprechaktqualität einer Äußerung wie „Gott existiert“ gerecht wird. Denn dieser Satz wird nach dem Verständnis der „philosophy of ordinary language“, welche die semantische Bedeutung und die pragmatischen Funktionen von Sprechhandlungen (Sprechakten) untersucht, eben nicht als empirisch gehaltvoller Satz verstanden, der wahr oder falsch sein kann, sondern als ein Sprechakt, der als Glaubensäußerung aus den Tiefenschichten einer Persönlichkeit kommt, also bekenntnishaften Charakter hat, dem gegenüber die Frage nach seiner Wahrheit keinen Sinn ergibt. Den sprachphilosophischen Unterbau für die konsequenzenreiche Erkenntnis, dass die sprachlichen Äußerungen von Theisten, Atheisten oder Agnostikern in gleicher Weise Bekenntnisse sind, hat der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein geliefert (Text 6). Als einer der ersten hat er die Logik der religiösen Sprache untersucht und dabei herausgearbeitet, dass die Äußerungen eines gottgläubigen und eines nichtgottgläubigen Menschen über die Existenz Gottes nicht nach dem Schema kontradiktorischer Äußerungen zu begreifen sind, sondern als ganz eigene Sprechakte, in deren Gefolge jeweils bestimmte Bilder und Vorstellungen auftauchen, mit deren Hilfe sich beide im Leben orientieren, die sich aber eben deshalb auch nicht widersprechen können.[9] Bekenntnisse sind nach dieser Lesart also nicht wahr oder falsch, sondern echt oder unecht, freiwillig geäußert oder unfreiwillig usw. Religiöser Glauben wird bisweilen kritisiert, weil seine Behauptungen den Prüfungen auf Bedeutungshaftigkeit nicht standhalten (vgl. dazu Text 4) Diese Kritik geht, wenn man dem Konzept von Wittgenstein folgt, an der Sache vorbei. Denn als empirische Aussagen sind sie wohl jedenfalls nicht beabsichtigt.[10] Nach diesem Verständnis, das Glaubensäußerungen an ihrem bekenntnishaften Charakter festmacht, das diese demnach der Selbstoffenbarungsebene zuordnet, dürften solche Äußerungen (nach dem Konzept der „Vier Seiten einer Nachricht“) auch nicht als mehr oder weniger versteckte Appelle verstanden werden, doch bitte das eben geäußerte Bekenntnis zu teilen und zu übernehmen, was freilich in religiösen Disputen sowohl auf der Sender- als auch auf der Empfängerseite eben doch immer wieder getan wird.

Nach dieser Lebensregel-These[11], welche den Glauben als ein in den Tiefenschichten der Persönlichkeit wurzelndes Vorstellungs- und Überzeugungsbündel begreift, welches das Leben von Menschen, gleich um welchen Ismus auf dem Gebiete der Metaphysik es sich nun handelt, in vielfacher Weise normiert, könnte auch das leidige Problem auf der Beziehungsebene wegfallen, nämlich das der wechselseitig verletzenden Sichtweise der Religion als unnötiger Krückstock (Text 4 Ayer: Material für den Psychoanalytiker) und beispielsweise des Atheisten als eines defizienten Menschen (Text 2 Küng), weil beide, der Gläubige und der Nichtgottgläubige mit ihrer inhaltlich verschiedenen Grundeinstellung von einem gleichwertig ihr Leben leitenden Vorstellungs- und Überzeugungssystem ausgehen. Die Orientierung an Gottglauben und Religion bei der Lösung existenzieller Probleme (das Brechtsche „Du brauchst einen Gott“) und der seit der Renaissance einsetzende Säkularisationsprozess, der seit der Reformation und intensiviert seit der Aufklärung zunehmend auf die Autonomie des Menschen bei der Regelung seiner existenziellen Angelegenheiten setzt, der den Rekurs dabei auf ein höchstes Wesen nicht sucht, sondern Systeme der Selbstverantwortung entwickelt, sind zwei Problemlösungsansätze, deren jeweils mehr oder weniger segensreiche Wirkungen in der Geschichte der Menschheit allerdings nicht erst von einem Richter beurteilt werden kann, der die Kapazität des Richters in Lessings Ringparabel besitzt

 

 

Die Kommunikationsprobleme bei religiösen Disputen haben nun zusammengefasst damit zu tun, dass es, wie die Analyse nach dem Konzept der „Vier Seiten einer Nachricht“ zeigt, immer wieder zu Übergriffen auf der Beziehungs- und / oder Appellebene kommt. Oft sind Überlegenheitsgefühle der Vertreter einer Religion gegenüber denen eines anderen Überzeugungssystems, also beispielsweise des Theismus gegenüber dem Atheismus und umgekehrt oder bei interkonfessionellen Disputen die Ursache. Überlegenheitsgefühle und Verachtung lösen wechselseitig Ängste und Verstörungen aus usw. Übersehen wird von den „Streithähnen“ dabei, dass, wie uns die Psychologie (Einstellungsbegriff; Löschungsresistenz von Gefühlen) versichern, religiöse Vorstellungen und Emotionen den Kern einer Persönlichkeit ausmachen und sich dieser durch die bloße Konfrontation mit neuer Information nicht knacken lässt. In den Menschenrechtskodifikationen (in Österreich erstmals 1867; früher noch im Toleranzedikt Joseph II) haben die Juristen auf ihre Weise der Erkenntnis der Kommunikationspsychologen und Psychologen vorgearbeitet, wenn sie den Kern einer Persönlichkeit frei halten und schützen wollen von jedem religiös-missionarischen Übergriff des Staates. Darin eingeschlossen ist wohl die Erkenntnis, dass die Befriedigung existenzieller Bedürfnisse wie die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens am besten in die Hände des Individuums selbst gelegt wird. Zu dieser Weisheit haben Theisten wie Atheisten oder Teilnehmer an einem interkonfessionellen Disput, die sich wie die Konkurrenten bei einem Fingerhakelbewerb verhalten, die sich also missionarische, ihre eigene Ich-Schwäche offenbarende Übergriffe erlauben, noch nicht gefunden.

 


 

[1] In: Russell, Bertrand: Warum ich kein Christ bin; rororo 6685

[2] Küng, Hans: Christ sein 1978 = dtv 1220, S. 71ff

[3] Feuerbach, Ludwig: Das Wesen der Religion 1851. Sämtliche Werke; hrsg. V. W. Bolin u. F. Jodl. 2. Aufl., Bd 8, S. 31 ff

[4] Ayer, Alfred: Sprache, Wahrheit und Logik 1970, S. 151ff

[5] Brecht, Bertolt: Geschichten vom Herrn Keuner, suhrkamp TB 16, S. 20

[6] Wittgenstein, Ludwig: Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychologie und Religion 1969 = vandenhoeck & ruprecht Tb 267-79, S. 87ff

[7] Friedmann Schulz von Thun: Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Allgemeine Psychologie der Kommunikation 1981

[8] zur evolutionären Erkenntnistheorie vgl.Vollmer, Gerhard: Was können wir wissen Band 1: Die Natur der Erkenntnis; 2. Aufl. 1988, S. 128ff; für den Theologen Küng stellt sich mit seinem festen Gottesbezug (in Feuerbachs Terminologie: dem Abbruch der Kausalkette) das Problem mit dieser Aporie nicht; dem Atheisten nimmt Küng in seinem Unverständnis seine abweichendes Position entweder nicht ab, tut sie als bloße „snobistische Koketterie“ oder gar als „gedankenlose Oberflächlichkeit“ ab, oder er sieht ihn einer existenziellen Gefährdung ausgesetzt, falls er doch ernst gemeint ist (vgl. Text 2), von der bei Feuerbach (Vgl. Text 3) natürlich nichts zu spüren ist. Wir haben es hier bei Küngs Vorurteil mit demselben, nur reziproken Mechanismus zu tun, der Religionsgegner diese als eine Krücke darstellen lässt, ohne die der Mensch nicht leben könne.

[9] „Mir schweben andere Bilder vor.“ – So Wittgenstein in Text 6 in Bezug auf die Vorstellung “Krankheit als Strafe“; in Analogie auch anwendbar auf die Diskussion zwischen einem Theologen und einem Atheisten über das Jüngste Gericht

[10] Eine lesenswerte Einführung zu Wittgensteins Überlegungen über die Logik der religiösen Sprache gibt W. Hudson in seinem Aufsatz „Einige Bemerkungen zu Wittgensteins Darstellungen des religiösen Glaubens“; in: Sprachlogik des Glaubens. Texte zur religiösen Sprache. Hrsg. V. Ingolf U. Dalferth 1974, S. 211ff; für den Fall, dass Aussagen – beispielsweise über das Jüngste Gericht – nicht als empirisch bedeutsame Sätze gewertet werden wollen, geht natürlich die Kritik Ayers (siehe Text 4) am Kern der Sache vorbei; Wittgenstein jedenfalls scheint von dieser Annahme auszugehen, wenn er pointiert formuliert: „Die Fehler der Religion sind zu enorm, um einfach schlechte Wissenschaft zu sein.“ (zit. nach W. Hudson a.a.O.)

[11] Das Etikett „Lebenregel-These“ bezieht sich auf folgendes von Hudson aaO. wiedergegebenes Wittgenstein-Zitat: „Nehmen wir an, jemand machte das zu seiner Lebensregel: den Glauben an das Jüngste Gericht. Was immer er tut, es schwebt ihm dabei vor [. . .].  Er hat [. . .] das, was man einen unerschütter-  lichen Glauben nennt. Und der wird sich nicht beim Argumentieren oder beim Appell an die gewöhnliche Art von Gründen für den Glauben an die Richtigkeit von Annahmen zeigen, sondern vielmehr dadurch, dass er sein ganzes Leben regelt.“